Eine Antwort auf den Blogpost von Horst Heller unter dem Titel „Religionsunterricht in einer digitalen Welt“

Vornean möchte ich ein Lob stellen: Ich habe den Blogpost gerne gelesen. Und habe selten schon so gute Beiträge zum Thema Religionsunterricht und Digitalisierung gesehen, die so prägnant pointieren, konkret präzisieren und übersichtlich strukturieren, was von Relevanz ist. Trotzdem fehlen mir inhaltlich ein paar Dinge, die meiner Meinung nach nicht nur „Feinheiten“ darstellen, sondern zentrale Aspekte sind. Deshalb habe ich diesen „Antworttext“ verfasst. Empfehlenswert ist es demnach, den ursprünglichen Blogpost von Horst Heller gelesen zu haben.

Unterricht in der Digitalität ist ein Kulturwandel, kein „digital“ vs. „analog“

Der wichtige und gute gedankliche Schritt im Artikel von der Digitalisierung zur Digitalität (unter völlig angemessener Berücksichtigung von allem was damit zusammenhängt) finde ich ja gut, aber er geht mir nicht weit genug: Weshalb wird hier weiterhin von „digitalen Unterrichtsvorschlägen“ gesprochen, von „digitaler Didaktik“ entgegen „analoger Lernwege“? Ich bin der Meinung, dass wir durch neue Möglichkeiten des informellen und non-formalen Lernens die Möglichkeiten vor allem des Religionsunterrichts massiv erweitern können. Wir müssen umdenken, um die geänderten gesellschaftlichen, kulturellen und technischen Rahmenbedingungen für unsere Ziele und Inhalte fruchtbar werden zu lassen. Es wäre zu einfach gedacht, hier an eine „Digitalisierung“ dessen zu denken, was wir bisher analog praktiziert haben. Das SAMR-Modell illustriert das meines Erachtens ganz wunderbar: Wir sollten uns bei den Veränderungen nicht nur mit den Möglichkeiten der Substitution zufrieden geben (die auch bereits ihre Vorzüge hat, bspw. eine schnelle und praktische Wiederverwendung von Medien/Methoden), sondern die Frage stellen, wie wir neue Ziele erreichen und Inhalte neu behandeln können. Zudem bestehen unter anderem im kollaborativen Lernen ganz neue, gerade für den Religionsunterricht und die zentralen Inhalte diesen Unterrichts, produktive Möglichkeiten. Als Technikpädagoge bin ich begeistert von den heutigen technischen Möglichkeiten der Digitalisierung, aber als Theologe und Religionspädagoge bin ich das auch, auf dem Hintergrund der (sinnvollen) Möglichkeiten!

Lehrerinnen und der digitale Wandel

Es fällt auf, dass die Befürworter eines digitalen Wandels der Schulbildung mehrheitlich männlich sind, die Lehrpersonen der Grundschule aber mehrheitlich weiblich. Zufall oder Symptom?

Horst Heller, in: „Religionsunterricht in einer digitalen Welt“

Ehrlich gesagt, ist mir schon aufgefallen, dass sowohl auf Twitter (#twlz bzw. #twitterlehrerzimmer) als auch auf Insta (#lehrerleben) die Protagonisten zu gefühlt 90% weiblich und größtenteils dem Primarbereich zuzuordnen sind. Ich wäre nie auf die Idee der oben zitierten Hypothese gekommen, weil ich genau das Gegenteil erlebe. Just saying. Überprüft habe ich das natürlich nicht, das ist nur ein Eindruck – Stichproben lassen sich vielleicht über die Lehrer*innen-Padlets für Twitter oder Instagram ermitteln…

Kirche und Social Media

Die Kombination „Kirche und Social Media“ betrifft mich ja vor allem deshalb direkt, weil ich seit inzwischen 10 Jahren die Facebook-Seite „Evangelisch“ betreibe und auf diesem Hintergrund bereits viele Erfahrungen sammeln und in verschiedenen Formaten weitergeben durfte. Ich habe mich in den letzten Jahren auch mit vielen Kritikern unterhalten. Und ich denke, dass mit der oben erläuterten Transformation der Gesellschaft, in der ich nicht nur eine Digitalisierung sondern ein Leben in der Digitalität sehe, dieses Thema auch den Religionsunterricht betrifft. So habe ich im RU der Oberstufe bereits Schülerinnen und Schüler Facebook-Postings verfassen lassen oder bleibe als @lehrer_hartelt auf Instagram mit Schülerinnen und Schülern thematisch am Ball — das sind neue Möglichkeiten, die dazu führen, dass der Religionsunterricht (auch) öffentlich wirksam wird. Und nicht zuletzt sind, vielleicht im beruflichen Schulwesen stärker als in anderen Schularten, meine Schülerinnen und Schüler für mich auch „Öffentlichkeit“. Deshalb finde ich, stimmt das hier nicht:

Der Religionsunterricht […] ist keine kirchliche Öffentlichkeitsarbeit.

Horst Heller, in: „Religionsunterricht in einer digitalen Welt“

OER als öffentlich frei zugängliche Lerninhalte statt Lehrbücher

Dieser Aspekt hat meiner Meinung nach gar nichts mit der Digitalisierung zu tun: Bereits seit vielen Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, kursieren qualitativ hochwertige Materialien unter Kolleginnen und Kollegen, vor allem in der Berufsschule (hier gibt es meines Wissens nur ein einziges geeignetes Schulbuch, das keine große Verbreitung genießt) um guten Unterricht zu ermöglichen. Kein Schulbuch. Nur Materialien. Die meisten davon sind nicht öffentlich im Netz, aber was ich damit sagen will: Das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun. Ob OER oder Lehrbücher: Die Gewährleistung eines qualitativ hochwertigen Unterrichts ist die Lehrperson.

Weiterbildung in der Digitalität

Lehrerinnen und Lehrer haben durch die Digitalisierung neue Möglichkeiten, sich ständig weiterzubilden um „am Ball zu bleiben“: Gerade Social Media ermöglichen „Mikrofortbildungen“ im Rahmen von bspw. #relichat auf Twitter oder mit den richtigen Hashtags auf Instagram. Natürlich bleibt dabei trotzdem das Problem, welches am Anfang der Lehrtätigkeit besteht, aus eigener Kraft die ersten Reihen zu planen, da helfen solche „kleinteiligen“ Weiterbildungen noch nicht weiter. Aber die Möglichkeiten des Austauschs innovativer Ideen und neuer Ansätze sind in der Digitalität um ein Vielfaches größer als zu „analogen Zeiten“, davon bin ich überzeugt.

Fazit

Die größte Schwierigkeit des Themas sehe ich schon in der Benennung der Thematik: „Religionsunterricht in einer digitalen Welt“ empfinde ich bereits als irreführend: Wir unterrichteten und werden künftig „Religionsunterricht in der Welt“ unterrichten, das bedeutet, wir orientieren uns an den Schülerinnen und Schülern und ihren Lebensbedingungen. Sie erleben einen Alltag in Digitalität, das Smartphone ist ihr Weltaneignungsassistent und sie erleben alles „zweigleisig“, weshalb eine Unterscheidung in digital vs. analog keinen Sinn mehr macht – auch nicht bei der Kritik von bspw. digitalisierten Unterrichtssettings. Es geht nicht mehr um das „so oder so“, sondern um das „künftige wie“!