Mein letzter Artikel zum Thema KI ist schon eine Weile her. Vermutlich auch, weil ich mit Grundsatzartikeln wie zum Unterschied zwischen Automatisierung und Autonomisierung oder auch zu den Grenzen von KI und maschinellem Lernen eigentlich soweit auch alles gesagt hatte. Nun taucht aber gerade in letzter Zeit einiges auf, das ich nicht gerne unkommentiert im Netz stehen lassen möchte – und dieser Artikel ist nun mein Beitrag zur laufenden Diskussion. Es geht um die Frage, inwieweit wir Menschen uns mit der künstlichen Intelligenz bald (wann auch immer das sein mag) etwas erschaffen, was höher und größer ist, als wir denken können – quasi eine Art „Gott“.

Ich hatte es verpasst als ich vor einigen Jahren davon gelesen hatte, dass ein ehemaliger Google-Mitarbeiter eine neue KI-Kirche gründete, in der er die künstliche Intelligenz als „Gottheit“ anbetete, einen Artikel darüber zu verfassen – denn diese „Kirche“ hielt nur fünf Jahre und wurde von ihm wohl 2020 wieder aufgelöst. Hans-Arthur Marsiske schreibt darüber: „Way of the Future hatte sich für eine ethisch motivierte Entwicklung von KI eingesetzt und wollte die friedliche und wohltätige Integration der dabei entstehenden nicht-biologischen Lebensformen in die Gesellschaft fördern.“ Wie ernst der Gründer es mit seiner Kirche meinte und wie skuril das Konzept aber auch klingt wurde in einem Artikel der Zeit 2017 ganz gut zusammengefasst. Dem Ganzen liegt natürlich die Grundannahme zugrunde, die KI würde stets intelligenter und umfassender, ein unaufhaltsamer und sich immer mehr selbst beschleunigender Prozess. Praktisch ist es ja tatsächlich so, dass künstliche Intelligenz immer mehr unserer Lebensbereiche „einnimmt“ und auch die Assistenzsysteme und Autonomiegrade der Anwendungen stetig zunimmt. Einzelne „Rückschläge“ und Grenzerreichungen können da nicht von einer, insgesamt betrachtet, bestehenden Wachstums-Tendenz ablenken.

Doch heißt es in dem eben bereits verlinkten Heise-Artikel von Hans-Arthur Marsiske zudem: „[…] Konzepte von dem einen Gott, dem alle zu folgen haben, mögen hilfreich gewesen sein, als es darum ging, für Menschen im Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit allgemein verbindliche Regeln des Zusammenlebens zu formulieren und durchzusetzen. Ob monotheistische Religionen aber geeignet sind, der Menschheit auch in der gegenwärtig stattfindenden Transition zu einer den Weltraum besiedelnden Spezies Orientierung zu geben, darf bezweifelt werden.“ Sicherlich darf immer alles bezweifelt werden, aber der Behauptung dass dies bei dem genannten Aspekt so auf der Hand liegen würde, wie hier implizit suggeriert wird, möchte ich ausdrücklich und entschieden entgegentreten: Warum sollte das bezweifelt werden? Oder noch krasser formuliert: Wo liegt hier überhaupt ein Unterschied in der Grundmechanik des Denkens: Vom Nomadenvolk zur Sesshaftigkeit oder von globalisierter Menschheit zur Weltraumbesiedelung – wo liegt da der (Denk-)Unterschied?

Wenigstens wird gleich im nächsten Absatz ein zugegebenermaßen kluger Satz geäußert, der in seiner Prägnanz von mir an dieser Stelle nur zitiert werden kann:

„die Wissenschaft allein kann es offensichtlich auch nicht richten. Sie kann den Weg ebnen zur Schaffung künstlicher Intelligenz und künstlicher Lebensformen. Aber sie kann uns nicht sagen, ob und in welche Richtung wir ihn gehen sollen. […] Letztlich ist die Zukunft Künstlicher Intelligenz eine Frage des Glaubens.“

Roboter im Alltag: Der Angebetete

Wie wir künftig mit der Weiterentwicklung von KI umgehen, ist also eine Frage unserer Einstellung, worauf wir hoffen, vertrauen, oder auch was wir befürchten. Das steuert unser Verhalten, und es kann auch zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Was passieren wird, wissen wir nicht, weil es in der Zukunft liegt. Welche Potentiale KI hat, können wir vielleicht erahnen. Vielleicht verlieren wir in absehbarer Zeit „unseren Status als Krönung der Schöpfung“, aber „niemand weiß, ob und wann die Entwicklung der KI den Punkt erreicht, von dem an sie sich selbst optimiert und damit jeder menschlichen Kontrolle entzieht. Vor diesem Hintergrund erscheint es als ein Gebot der Vorsorge und Nachhaltigkeit, davon auszugehen, dass wir dabei sind, uns unsere eigenen „Götter“ zu schaffen. Daraus folgt nicht zwingend, die weitere Forschung und Entwicklung einzustellen. Aber wenn wir uns entscheiden, sie fortzusetzen, sollten wir sie bewusst auf die Erzeugung einer Superintelligenz ausrichten, statt sie hinter unseren Rücken ungeplant entstehen zu lassen.“

Also lässt es sich natürlich schon darüber diskutieren, ob denn jemals die KI zu einer übermächtigen KI, einer „Gottheit“ werden wird – oder aber wir reden gleich darüber, was für einen Gott wir denn gerne haben möchten und gestalten den Weg dorthin mit (solange wir das noch können). Dabei können und sollten wir sagen, in welche Richtung wir den Weg zur Schaffung künstlicher Intelligenz und künstlicher Lebensformen gehen sollen. Das kann die (Natur-)Wissenschaft nämlich sich nicht selbst beantworten.