Ein paar Dinge müssen klar gestellt werden, dazu gehört unter anderem, was mit dem ganzen Hype um die #DigitaleKirche denn so gemeint sein kann — immerhin reden derzeit viele darüber, doch was gemeint ist, geht weit auseinander.

Was “Digital” heißt…

Genau genommen bezeichnet „digital“ lediglich eine Signalform, bei der nur diskrete Zustände, also nicht beliebig viele (analoge) Werte vorkommen können. Ein beliebtes Beispiel hierfür, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, ist die binäre Logik mit den zwei Zuständen „0“ und „1“. Die Logik von digitalen Schaltungen „wird dann als Digitaltechnik [digital technology] bezeichnet (lateinisch digitus: Finger, der beim Zählen benutzt wird).“

Die Digitalisierung bezeichnet dementsprechend die Überführung analoger Größen, Signale oder Daten in diskrete (digitale) Werte um diese zu speichern oder weiterzuverarbeiten. Diese Bezeichnung wird aber umgangssprachliche für die sog. „Digitale Revolution“, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist, verwendet. Gemeint ist hierbei vor allem der gesellschaftliche Wandel, der mit der immer stärker dominierenden Verwendung digitaler Technologien eingesetzt hat. Sowohl bei der industriellen Produktion wie auch vor allem durch das Internet bei der zwischenmenschlichen Kommunikation fanden in den letzten Jahrzehnten bedeutsame technologische Veränderungen statt. Auf diesen digitalen Wandel beziehen sich auch die einleitenden Worte der Kundgebung der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von ihrer 7. Tagung am 12. November 2014 in Dresden zur „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“:

„Der digitale Wandel verändert unseren Alltag, unser Leben, unser Christsein. Als evangelische Kirche sind wir Teil dieses Umbruchs. Wir sind überzeugt, dass wir in christlicher Freiheit diese Entwicklung selbstbestimmt gestalten können und ihr nicht ausgeliefert sind. […] Die neuen Möglichkeiten wollen wir für die Kommunikation des Evangeliums nutzen.“

Bereits in dieser Begriffsklärung wird deutlich, wie sehr die Diskussionen um #DigitaleKirche auf das Medium und die Kommunikationsform fokussiert sein sollten. Denn die “digitale Kirche” ist kein ursprünglich inhaltlicher, also theologischer, Veränderungsprozess der Kirche (wenngleich sich aus diesem Prozess durchaus entsprechende Implikationen folgern lassen), wie es die feministische Theologie oder die Befreiungstheologie waren/sind. Bei der Digitalisierung geht es vielmehr in erster Linie erstmal um das Medium der Kommunikation, die Art und Weise wie miteinander in Kontakt getreten wird.

…und was das für die “Kirche” bedeutet:

Auch der Begriff “Kirche” muss bei näherer Betrachtung der Auswirkungen der Digitalisierung in seinen vielfältigen Dimensionen geklärt werden. So kann man unter “Kirche” vielerlei verstehen: Das Gebäude (auf welches die Digitalisierung durchaus auch Auswirkungen haben kann — dazu später), ein Ort, die Institution, der Gottesdienst oder die Gemeinschaft der Gläubigen. Auf all diese Aspekte von Kirche kann (Potential ist vorhanden), darf (Offenheit für alle) und muss (der digitale Umschwung lässt sich in keinem Lebensbereich mehr aufhalten) die Digitalisierung Auswirkungen haben.

Die Kirche verändert sich: Gehen wir mit!

Aufbruchsstimmung macht sich breit, weil die (beinahe) unendlichen Möglichkeiten der digitalen Revolution Potentiale entfalten, die auch für die Aufgaben in kirchlichen Kontexten überraschend fruchtbare neue Wege anbieten. Erste Leuchtturmprojekte wurden erfolgreich durchgeführt, andere in Angriff genommen, ein gutes Beispiel dafür ist GodSpot, das freie WLAN oder auch evangelisch.de, das Internetportal der EKD. Einen guten Überblick über die Beiträge zu #DigitaleKirche bietet auch http://digitale-kirche.evangelisch.de/. Trotzdem kritisieren einige, die Kirche habe die Veränderung “mal wieder verschlafen”, es müsse sich “endlich was bewegen” — woher kommt diese Wahrnehmung? Betrachten wir die oben genannten Dimensionen von Kirche wird deutlich, welch ein vielschichtiger Prozess mit #DigitaleKirche gerne salopp zusammengefasst wird:

Die Kirche: Ein öffentliches Gebäude

Jeder, der in den letzten Jahren einen Umzug hinter sich hat, wird es bemerkt haben: Kirchengebäude lassen sich zwar optisch im Stadtbild manchmal schnell entdecken (dank Kirchtürmen sind sie ja kaum zu übersehen), wobei dabei die Kernfrage ob evangelisch oder katholisch häufig erst auf den zweiten Blick geklärt werden kann — doch wenn man sich vor Ort noch gar nicht auskennt und mal über das Internet recherchieren möchte, scheitert man derzeit häufig noch an den Internetseiten der Gemeinden. Was ist das Problem? Nun, die einen geben als Adresse lediglich das Pfarramt an, welches zwei Straßen weiter zur Kirche ist. Die anderen geben gar keine Adresse an, vermutlich nach dem Motto “wo die Kirche ist, das weiß man doch”… Eine Navi-Adresse der Kirche sucht man üblicherweise vergebens. Google Maps hilft höchstens noch mit Satellitenbildern, auf denen manchmal mit Mühe auch die Kirche entdeckt werden kann — ob es die richtige ist, bleibt ungewiss. Hier eine größere Transparenz zu schaffen, Kirchengebäude deutlicher in allen relevanten Online-Karten zu hinterlegen, Adressen von Gemeindehaus, Kirche, etc. auf die Homepage zu pflegen und auf digitale Aushangkästen umzustellen — all dies sind Maßnahmen, die als #DigitaleKirche die Gegenwart auch in der Kirche einziehen lassen würden.

Die Kirche: Ein Ort der Begegnung

Wie die Kirche für Gottesdienst und weitere Veranstaltungen ein Ort der Begegnung sein kann, so kann dies auch ein Internetforum, eine Facebook-Gruppe, ein WhatsApp-Chat oder ein WordPress-Blog des Frauenkreises sein. #DigitaleKirche sollte dabei nichts ersetzen — sondern bereichern: Der konkrete Mehrwert der digitalen Kommunikationskanäle, nämlich “zu den Menschen ins Wohnzimmer” zu kommen und eine Beteiligung auch für Beeinträchtigte und schwer Beschäftigte zu ermöglichen sollte doch ganz im Sinne von Kirche sein: Begegnungen ermöglichen und dafür Platformen und Rahmenbedingungen schaffen, das ist hierbei die Aufgabe von #DigitaleKirche. Ohne Anleitungen und Unterstützungsangebote für Ehrenamtliche und Interessierte bleibt ein konkreter Fortschritt in diesem Bereich weiterhin ein frommer Wunsch. Dass diese Maßnahmen in der Regel auch mit finanziellen Ausgaben verbunden sein sollten und nur sehr sehr selten mit qualifiziertem ehrenamtlichen Engagement abgedeckt werden können, muss wohl vielen Kirchengemeinderäten allerdings erst noch schonend beigebracht werden.

Die Kirche: Eine Institution meines Vertrauens

Als Institution “Kirche” birgt die Digitalisierung und die damit verbundene Veränderung des Kommunikationsverhaltens in der Gesellschaft neue Potentiale für die Mitgestaltung durch die Kirche. Durch FakeNews und Shitstorms sensibilisiert verstärkt sich nämlich in letzter Zeit das Bedürfnis nach Vertrauen durch Verifikation: Quellen werden immer bedeutsamer, es wird nicht jedem alles geglaubt und man wird mißtrauischer. Die Folge: Online-Portale experimentieren mit Verifikations-Labels, die “offizielle Seiten” oder “Personen des öffentlichen Lebens” kennzeichnen und Vertrauen stiften sollen, dass es sich um die “Echten” handelt. Gerade in einer solchen Umbruchsphase sehe ich für die #DigitaleKirche konkrete Chancen, denn als große Institution des Vertrauens (Pfarrer und Pfarrerinnen zählen zu den Vertrauenspersonen Nr. 1 der Deutschen) kann Kirche eine zentrale Rolle spielen. Wenn es gelingt, institutionell verifizierte Kanäle zu etablieren, die auch Online eine Werteorientierung formulieren und konkret mitgestalten dann kann dies für die Netiquette (Online-Umgangsformen) und die Bedeutung von Kirche im Alltag der Gesellschaft gewinnbringend gestaltet werden. Wir können so die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, mitgestalten statt nur zu beobachten oder gar, wie von vielen behauptet, zu “verschlafen”.

Die Kirche: Der Sonntagsgottesdienst

“Wann ist am Sonntag Kirche?” — Auch der Gottesdienst ist “Kirche” und Experimente des Online-Gottesdienstes haben sich zu einem stabilen Format etabliert und auch hier gilt: Mehrwert nutzen, nicht Bewährtes ersetzen. Es geht darum, neue Zielgruppen zu erschließen oder existierenden Zielgruppen die Beteiligung zu erleichtern, eine gute und richtige Richtung, die schon von Fernsehgottesdiensten bereits vor Jahrzehnten eingeschlagen wurde. Doch auch hier sind “Hybrid”-Lösungen denkbar, denen meiner Eindruck nach noch viel zu wenig echte Chancen eingeräumt werden: Was ist mit der Nutzung von Online-Kommunikation um das Gesteck für den Altarraum kurzfristig zu organisieren, die Schriftlesung oder Abkündigungen an Ehrenamtliche zu verteilen oder einen besonderen Themen-Gottesdienst zu “bewerben”? Weshalb nicht Online-Kommunikation dafür einsetzen, weiterführende Links zur Predigt zu veröffentlichen oder für allerlei Hilfreiches über den engen Rahmen eines Präsenzgottesdienstes hinaus zu nutzen? Zu viele wissen noch zu wenig darüber, was alles heutzutage ohne viel Aufwand aber mit großen Erleichterungen oder großem Mehrwert für viele Menschen dank der Digitalisierung auch in der Kirche erreicht werden kann.

Die Kirche: Eine Gemeinschaft von Gläubigen

Wenn wir die “Kirche” als “Volk Gottes” oder die “die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden” (CA VII) verstehen, dann hat auch und vor allem hier die Digitalisierung gravierende Auswirkungen. Denn in dieser Definition der Confessio Augustana wird ja mehrfach deutlich, wie sehr die Kirche auf Kommunikation basiert. Dabei werden Fragen aufgeworfen, die geklärt werden müssen — dazu zählt, ob denn auch online eine “Versammlung der Gläubigen” möglich ist? Und: Was kann man davon halten, wenn derzeit bereits weltweit das Sakrament des Abendmahls über das Internet gefeiert wird? Geht das überhaupt, oder ist sowas grundsätzlich an die Realpräsenz der Beteiligten im Kirchenraum gebunden? Der aktuelle Vorteil hierbei: Wir müssen doch gar nicht gleich auf Anhieb den ganzen Weg gehen — es reicht doch ein erster Schritt. Und die ersten Schritte bei der Kirche als Gemeinschaft sind doch vielmehr, auch hier Kanäle und Platformen, Möglichkeiten zu schaffen in Gemeinschaft zu treten oder diese Gemeinschaft zumindest auch im Alltag fortsetzen lassen zu können. Es muss nicht mehr ausreichen, dass einmal im Monat ein Gemeindebrief über die Ereignisse in der eigenen Gemeinde informiert, sondern neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit ermöglichen eine Einbindung aller in die Gemeinschaft der Gemeinde.

#DigitaleKirche: Chancen, die ergriffen werden wollen!

Aus all dem schlussfolgernd muss man zugeben, dass bereits an vielen Stellen wichtige Prozesse in Gang gekommen sind, die in die richtige Richtung gehen aber bei vielen Dimensionen noch große Potentiale bestehen und noch ein weiter Weg vor uns liegt. Doch sind viele Menschen und viele gewachsene Strukturen an diesem Umbruch beteiligt und die Digitalisierung ist ein dynamischer Prozess der viele neue Möglichkeiten schafft, während er althergebrachtes verändert. Manchen Mehrwert entdeckt man erst, wenn man ein Stück des Weges bereits gegangen ist — deshalb sollten wir die Kernaufgaben von “Kirche” und die ursprüngliche Bedeutung von “Digital” bei alledem nicht aus den Augen verlieren. #DigitaleKirche kann viel bewegen und wieder mehr Menschen zurück in das Boot holen. Ergreifen wir die Chancen, die die Digitalisierung uns bietet!