So langsam habe ich den Eindruck, dass mit allem was ich lese wohl viele wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren: Nach den Prognosen, die Welt zu verändern oder zumindest einen Durchbruch zu erleben — kommen jetzt wohl die Realisten wieder öfter zu Wort, die von “Digitaler Ehrlichkeit” sprechen und einem überschätzten Hype. Nun, ich hielt mich auch bereits 2017 nicht zurück, die von Autonomisierung ausgelöste Todesangst der Menschheit zu beschwören. Doch ich muss auch dieser “anderen Seite der Medaille” ihre Daseinsberechtigung einräumen, vielleicht haben wir alle diese Aspekte viel zu lange übersehen oder verdrängt. Als Ingenieur kann ich auch nicht voraussetzen, dass jeder so differenziert und auch versiert die Kinofilme schaut, die sich künstlerisch am Thema der KI austoben und dass jeder angemessen die Stellen identifiziert, an denen vielleicht doch ein wenig (oder sogar ziemlich viel) übertrieben wird… Nein, diese Dinge müssen expliziter angesprochen werden!
Der Zukunftsforscher Horx ist der Meinung, der Hype um autonomes Fahren und KI schaffe gefährliche Illusionen. In der Gegenwart und nahen Zukunft zeichnet sich dementgegen im Blick auf soziale Medien, so Horx, eine “Digitale Krise” ab, denn “sein Leben auf dem Netz auszubreiten, führt irgendwann zu einem Selbstdarstellungs-Narzissmus, der schnell in Depression und Selbstzweifel umkippt.” Die Folge: Eine Tendenz zur Abwendung von Social Media, “Digital Detox” wird zur Mode und die Menschen suchen soziale Bestätigung, die sie von Facebook und Co. erhofft hatten, die aber nur inhaltsleere Klicks waren — eine Erkenntnis, die sich langsam in der Gesellschaft breit macht. Nur: Wo können wir die soziale und individuelle Sinnsuche denn dann wirklich erfolgsversprechend fortsetzen? Wenn soziale Medien mit allen Möglichkeiten der Selbstinszenierung zur digitalen Ersatzreligion stilisiert wurden und jetzt ihr wahres Gesicht zutage tritt sind die “alten” Religionen gefragt, neue Heimat zu bieten. So sehr diese Gesamtsituation eine im Kern traurige Erkenntnis ist, so sehr ist sie auch Chance der kränkelnden Kirchen, den Glauben an den Menschen und an Gott, sowohl ihre Anthropologie wie auch die Theologie wieder in der Breite der Gesellschaft zu verankern.
Aber nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Industrie hat man erkannt, dass der Weg zu mehr Automatisierung und Autonomisierung kein Königsweg ohne Alternative darstellt. Auch immer mehr Automatisierung bis hin zu einer Fabrik, in der es keine Beleuchtung mehr braucht, weil keine Menschen mehr dort an den Arbeitsprozessen mehr beteiligt sind, scheinen wohl doch nicht das perfekte Ideal zu verkörpern. So hat jüngst der Tagesspiegel mit “Toyota feuert die Roboter” getitelt und Henrik Bork führte dabei aus, dass Toyota zwar Pionier der Automatisierung war, nun aber die Menschen wiederentdeckt — von denen die Maschinen lernen sollen. Denn, so die Kernkritik, eine solche Produktion würde für immer auf derselben Entwicklungsstufe verharren, weil die Maschinen keine eigene Innovationen, keine Veränderung hervorbringen würden.
Und die Argumente der verschiedenen Artikel und Berichte sind sich so ähnlich wie es ihre Kernaussagen sind: Wir hatten über einen längeren Zeitraum technologischen Weiterentwicklungen quasi alles(!) zugetraut, weil wir die Grenzen nicht kannten oder die Grenzen der Möglichkeiten noch nicht erreicht hatten. Nun, da wir unsere Träume und Visionen dank Automatisierung und Autonomisierung umzusetzen beginnen, entdecken wir einerseits die Grenzen der Maschinen und Software, aber andererseits entdecken wir auch den Menschen neu. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass uns diese Entwicklung gut tut, wenn wir uns darauf einlassen: Was macht den Menschen aus? Es ist seine Innovationskraft, die Kreativität über Grenzen hinaus zu denken, sich selbst beständig neu zu erfinden aber auch immer wieder zu sich zurückzukehren. Dem Menschen steht, so hat es Wolfart Pannenberg einmal ausgedrückt, im Gegensatz zum Tier, das nur Umwelt hat, die ganz Weltfülle zu Verfügung und diese Weltoffenheit macht den Menschen aus: Die Weltoffenheit setzt eine Gottbezogenheit voraus. Die Weltoffenheit erschöpft sich nicht im Kulturschaffen, wie Arnold Gehlen in seinem Konzept des Menschen als Mängelwesen postuliert und auf das sich Pannenberg an vielen Stellen seiner Veröffentlichung bezieht. Die Triebstruktur des Menschen schafft ein unendliches Angewiesensein des Menschen auf ein Unendliches, auf Gott.