Ich lese immer wieder davon, dass Projektstellen für Digitalisierung geschaffen werden oder ein Fonds aufgesetzt wurde oder besondere Pfarrstellen eingerichtet werden, damit das mit der Digitalisierung in der Kirche vorangeht. Das ist gut gemeint, aber ich habe doch ein paar Anfragen an diese Vorgehensweise:
1. Die Digitalisierung ist kein Projekt, warum machen wir bei der Kirche eins draus?
Die digitale Transformation, auch “digitaler Wandel” genannt, ist ein Veränderungsprozess der alle Bereiche des menschlichen Lebens und Zusammenlebens durchdringt und sich “nicht aufhalten lässt”, so wird es einem häufig erklärt. Das klingt im ersten Moment simpel, wer es wirklich verstehen will, muss sich fragen, was das konkret bedeutet: Es heißt, dass wir uns grundlegend verändern und sich damit auch die Art, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir etwas tun, wie wir uns orientieren oder kurz gesagt: Wie wir leben. Auch, wie wir unseren Glauben leben. Und in dieser Veränderung wird bei der verfassten Kirche so getan, als könnte man dieser Herausforderung begegnen, indem man jemanden dafür zuständig macht oder “diesen Bereich” eben auch mit Ressourcen “bedient”. Aber so wurde das beim Buchdruck doch auch nicht gemacht! Gerade die evangelische Kirche hat die gedruckte Bibel im Mittelpunkt der Kirchenräume zentral auf dem Altar liegen, eben weil die Veränderung auch damals zentral und grundlegend war und von den Reformatoren ernstgenommen wurde.
2. Ist die #DigitaleKirche ein Tätigkeitsbereich wie Mission, Ökumene oder Sozialdienste?
Ich meine: Nein! Die Digitalisierung ist kein Fachbereich für ein paar Nerds, die sich mit diesem Internet und so gut auskennen sondern ein Thema für alle Bereiche von Kirche. Alles, was wir als Kirche tun, von Diakonie über Bildung, Mission und Verkündigung, bis hin zur Verwaltung (was wir, wenn wir ehrlich sind, einen beträchtlichen Teil der Arbeit bei der Kirche ausmacht) wird von der Digitalisierung ergriffen oder abgehängt. Wenn wir so tun als könnten wir diese künftig immer größer werdende Herausforderung “bändigen”, indem wir aus der “digitalen Kirche” ein abgesondertes Projekt machen, sehe ich die Gefahr dabei als Kirche bei den Menschen abgehängt zu werden. Wenn wir als Kirche wirklich bei den Menschen sein wollen, müssen wir auch bei allen unseren institutionellen und strukturellen Fragen an der Lebenswelt der Menschen orientieren. Und die Gesellschaft verändert sich, Glaube und Bekenntnis im digitalen Raum ist vorhanden, auch von der evangelischen Kirche, und kann gestaltet werden. Ich bin überzeugt, dass der alte Spruch der Kritiker “Die Kirche wurde abgehängt, warum macht sie nix im Bereich Digitalisierung” längst nicht mehr stimmt — die neue Frage lautet aber: wie arbeiten wir an der #digitalenKirche? Wir dürfen nicht so tun, als wäre das ein gesonderter Bereich für den es eine handvoll Experten braucht: Wenn die Digitalisierung alle Lebensbereiche durchdringt, muss sie auch alle Kirchengemeinden durchdringen — jede Pfarrerin und jeder Pfarrer, jede Diakonin und jeder Diakon, jede Religionspädagogin und jeder Religionspädagoge, jede Religionslehrerin und jeder Religionslehrer müssen qualifiziert und sensibilisiert werden, in den für Kirche relevanten Bereichen kompetent agieren zu können. Stellt sich die Frage, welches die (vorerst) relevanten Bereiche sind: Daran muss Kirche arbeiten.
3. Welcher Weg ist der Richtige?
Das berühmte Gieskannenprinzip ist jetzt sicherlich auch nicht das, was ich mit diesem Artikel erreichen will: Einfach mal überall rumprobieren und dabei aber nicht die Kraft aufbringen, irgendwas davon wirklich richtig anzugehen, hat noch nie jemandem wirklich genutzt. Andererseits ist es aber auch nicht richtig, sich nur Leuchtturmprojekte herauszupicken um sich gut präsentieren zu können aber dabei an der täglichen Realität in den Kirchengemeinden vorbeizuarbeiten. Welcher Weg letztlich der richtige Weg ist, kann und will ich in diesem Artikel nicht vorgeben, aber ein paar Ideen möchte ich dazu an dieser Stelle festhalten:
a) Wir sollten darauf achten, unsere Kernbotschaft, unseren “USP” (unique selling point) nicht aus den Augen zu verlieren und uns trotzdem auf Neues einzulassen: Ein schwieriger Balanceakt, vor allem wenn er wie die Digitalisierung alle Tätigkeitsbereiche durchdringt
b) Wir sollten bei allem was wir tun die Frage berücksichtigen, inwiefern hier Digitalisierung helfen, verbessern und vielleicht auch vereinfachen kann — nicht nur bei den Aspekten, die gerade “en vogue” sind. Das betrifft sowohl die Verwaltung, den Gottesdienst, aber auch den Religionsunterricht und viele Bereiche mehr.
c) Wir sollten unseren Auftrag wahrnehmen, uns für die Schwachen in der Gesellschaft einzusetzen: Menschen, die sich beispielsweise kein Smartphone leisten können, oder Menschen, denen aufgrund körperlicher Einschränkungen die Teilhabe an gesellschaftlichen Leben verwehrt wird brauchen eine Stimme, die für sie spricht: Der Kampf um soziale Gerechtigkeit und Teilhabe-Gerechtigkeit geht auch digital weiter
d) Die Digitalisierung eröffnet auch neue Dimensionen, die dazu führen, dass auch dort der Kernauftrag von Kirche erfüllt werden muss: Ich denke da beispielsweise an die Technikethik bzw. Maschinenethik, die Ethik künstlicher Intelligenz, an der ich im Rahmen der European AI Alliance und der CLAIRE-Initiative mitarbeite.
Digitale Kirche ist kein Projekt! Digitale Kirche ist ein Aufbruch in eine neue Zeit für uns Menschen und damit eine neue Zeit für Kirche — mit neuen Herausforderungen, die aber alle Bereiche betreffen und auch als solche wahrgenommen werden sollten.