Wenn wir Infektionszahlen und Sterberaten betrachten, dann höre ich in letzter Zeit im Blick auf die Abstandsregeln, Auflagen und Beschränkungen viel zu oft, dass es inzwischen doch nur noch wenige Fälle gibt. Und auch ein beliebtes Argument: Wir müssen ja eigentlich nur die Risikogruppen schützen. Aber stimmt das? Gibt es nicht auch Einzelfälle, bei denen junge, fitte und gesunde Personen von Corona auf das Intensivbett gezwungen wurden oder sogar ihr Leben lassen mussten? Und gibt es nicht auch Risikopatienten, die im hohen Alter mit einigen relevanten Vorerkrankungen das Virus ziemlich komplikationsfrei überstanden?
Jeder Mensch ist ein Einzelfall
Wenn wir die Menschen wahrnehmen, wie es unser jüdisch-christliches Menschenbild eigentlich schon zeigt, dann ist für uns jede und jeder Einzelne ein Geschenk Gottes, ein Stellvertreter Gottes auf Erden. Das bedeutet zwar einerseits, dass jeder für sich, sein Handeln im Umgang mit seinen Mitmenschen und seine Überzeugungen verantwortlich ist, Verantwortung für die Welt übernehmen muss. Es bedeutet aber auch, dass jede und jeder von uns angenommen und geliebt ist, einfach schon nur weil wir da sind. Weil wir existieren. Wir müssen nichts dafür tun. Im Grundgesetz wird dies als „Würde des Menschen“ bezeichnet. Und daraus erwächst in der Corona-Krise das ethische Dilemma: Wir können und dürfen uns nicht auf Statistiken verlassen, die „nur eine geringe Übersterblichkeit“ ausweist und das dann tolerieren. Jedes Opfer ist eines zu viel und jede Infektion sollte vermieden werden. Das muss doch unser Ziel sein! Trotzdem leben wir in einer Welt, in der diese Idealvorstellung auch bei anderen Krankheiten und Phänomenen nicht erreicht werden kann. Der Mensch macht Fehler und ist nicht perfekt.
Was ist nun der „richtige Weg“?
Wir wollen wissen, wohin die Reise geht, welche Auswirkungen die jeweiligen Maßnahmen (seinen es Verschärfungen oder Lockerungen) haben werden. „Die Zukunft vorherzusagen ist unmöglich, es gibt zu viele Variablen. Der Mensch ist ein unberechenbares Geschöpf.“ Trotzdem können Berechnungsmodelle und auch Diagnosen heutzutage deutlich verbessert werden – und zwar durch Künstliche Intelligenz!
Künstliche Intelligenz im Einsatz gegen COVID-19
Die große Herausforderung liegt darin, Modelle zu entwerfen, wie es weitergehen wird oder weitergehen könnte. Wie können wir das Virus „unter Kontrolle“ behalten? Dafür müssen jetzt Daten gesammelt werden, aber „Je mehr wir wissen, desto besser wissen wir, was wir nicht wissen.“ Es bleibt also eine schwierige Herausforderung, vor allem im Blick auf die ethische Herausforderung, nicht der Versuchung zu verfallen, „ein paar Menschenleben“ könne man ja „opfern“, damit man wieder ein uneingeschränkteres Leben führen kann. Andererseits hilft künstliche Intelligenz auch bei der Diagnose von COVID-19 in den Krankenhäusern. Und zwar wird derzeit in 10 Krankenhäusern in ganz Europa eine Software eingeführt, die die Arbeit des medizinischen Personals durch die Analyse von Bildern von Lungeninfektionen unterstützt. Künstliche Intelligenz (KI) verändert dabei die Art und Weise, wie Krankheitsausbrüche verfolgt und verwaltet werden, hilft Ärzten und rettet Leben. Die Europäische Kommission investiert derzeit in den Einsatz eines KI-Tools, mit dem COVID-19 in weniger als einer Minute diagnostiziert werden kann. Der Algorithmus verwendet die von einem Computertomographie-Scanner (CT) (normalerweise ein wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur eines Krankenhauses) gesammelten Bilder, um verdächtige COVID-19-Fälle zu erkennen. Diese Technik macht Ärzte früher auf die Pathologie der Krankheit aufmerksam, erleichtert die Arbeit des medizinischen Personals und hilft ihnen, Patienten schneller zu behandeln. Schon im November letzten Jahres hatte Siemens Healthineers angekündigt, mit dem zunehmenden Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin nachhaltig zu wachsen.
Vielversprechende Aussichten
Als Mitglied der CLAIRE Confederation of Laboratories for Artificial Intelligence Research in Europe bin ich im Blick auf diese Entwicklung ein klarer Unterstützer: Künstliche Intelligenz dafür einzusetzen, jedem einzelnen betroffenen Menschen medizinisch bestmöglich zu helfen ist ein gutes Engagement. Problematisch ist es, wenn durch Datensammlungen suggeriert wird, dass Lockerungen durchgesetzt werden können, die zu einer Vernachlässigung der Bekämpfung des Virus führen. Denn die Alltagsmaske tragen wir, um unsere Mitmenschen zu schützen. Jede und jeden einzelnen von ihnen.